www.wir-fmv.org abrufbar. Wer Menschen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen herabwürdigt, ist nicht nur empathielos und ignorant, sondern stellt die grundlegenden Werte und Richtlinien der Demokratie in Frage. Zudem offenbart er sich als wenig helle: Jeder Mensch kann in jedem Lebensalter in die Lage kommen, selbst zu erkranken, unabhängig von Herkunft, sozialem Umfeld und Vererbung." />
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Sozialpsychiatrische Hilfsangebote des ASB

Wenn man aus dem Leben fällt

435 Verbände, Initiativen und Einrichtungen aus dem Bereich der Behindertenhilfe und der Sozialen Psychiatrie beziehen gerade vehement Stellung gegen Rassismus und Rechtsextremismus. Gemeinsam mit ihnen warnt der Arbeiter-Samariter-Bund zum Auf-takt des Wahljahres vor Hetze und Stimmungsmache rechter Akteur*innen. Der gesamte Erklärungstext und die Liste der Mit-zeichnungen ist online unter www.wir-fmv.org abrufbar. Wer Menschen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen herabwürdigt, ist nicht nur empathielos und ignorant, sondern stellt die grundlegenden Werte und Richtlinien der Demokratie in Frage. Zudem offenbart er sich als wenig helle: Jeder Mensch kann in jedem Lebensalter in die Lage kommen, selbst zu erkranken, unabhängig von Herkunft, sozialem Umfeld und Vererbung.

Der ASB nimmt sich seit gut 27 Jahren dieser in besonderem Maße schutz- und hilfebedürftigen Frauen und Männer an und fördert sie, um ihnen ein würdevolles Leben und im besten Falle die Rückkehr in normale, selbstbestimmte Strukturen zu ermöglichen. Dafür geht man beim ASB sehr gern neue, innovative Wege. So konnte der sozialpsychiatrische Bereich der Heimbetriebsgesellschaft des ASB gGmbH mit Zentrale in Neunkirchen ein in dieser Form im Saarland einmaliges, gewissermaßen „Rundum-Sorglos-Paket“ schnüren. Dieses verzahnt stationäres mit ambulantem Wohnen. Als verbindendes, beide Bereiche gleichermaßen integrierendes und förderndes Element kommen tagesstrukturierende Maßnahmen für die gesamte Klientel hinzu. 

Dank dieser Angebote lernen die Menschen, trotz ihrer Behinderung, trotz Borderline-Syndrom, Depression, Bipolarer oder Persönlichkeitsstörung u.ä. Schritt für Schritt ihr Leben wieder in die Hand zu nehmen. Wie sich das vollzieht, lässt sich am ehesten anhand eines Einzelfalls schildern – zwar fiktiv, aber sehr nah dran an realen Schicksalen. Nennen wir ihn Daniel, 37 Jahre alt. Ein Einzelkind. Als Jugendlicher hat Daniel mehrfach Cannabis konsumiert. Daniel lebt heute in einer eigenen kleinen Wohnung, 1 Zimmer/Küche/Bad. Vor fünf Jahren wäre das noch undenkbar gewesen. Angefangen hat seine Leidensgeschichte im Alter von 17 Jahren – der Klassiker: Daniel hörte Stimmen und litt unter Wahnvorstellungen. „Du bist wie ein gehetztes Tier und kämpfst eigentlich nur noch um dein Leben“, wie es ein Leidensgenosse einmal formuliert hat. Schizophrenie lautete die Diagnose. Immer wenn es ihm besonders schlecht ging, kam er stationär ins Fliedner Krankenhaus. Nach dem Abitur studierte Daniel mit Müh und Not drei Semester Jura. Bis es nicht mehr ging. 

Ein halbes Jahr wurde er stationär behandelt. Dann überstellte ihn der Sozialdienst in eine Wohngruppe des ASB. In Neunkirchen und Eppelborn verfügen die Samariter über 27 Plätze in neun Wohnungen. Daniel erlernte mühevoll, dem Tag wieder eine Struktur zu geben. 7.30 Uhr aufstehen, gemeinsames Frühstückmachen mit dem Personal, später Beschäftigungstherapie. Die Kochgruppe bereitet das Mittagessen selbst zu, für das die Bewohner auch selbst einkaufen gehen – wenn nicht gerade Pandemie herrscht. „Vom Einkaufzettel schreiben bis hin zum Abwasch trainieren sie, ein Stück Selbständigkeit zurück zu gewinnen“, erläutert Peter Glöckler, Einrichtungsleiter und Prokurist der gemeinnützigen Heimbetriebsgesellschaft.

„12 Uhr werd gess“, danach ist erstmal Pause. Am Nachmittag, wie auch vormittags, stehen diverse Angebote zur Verfügung, darunter eine Gartengruppe, Kreatives Gestalten, ein Gospelchor oder Gesprächsgruppen. Daniel schloss sich den Joggern des Lauftreffs an und fand nach mehreren Anläufen doch noch Freude am Singen im Modern Chor. Das Schöne daran: Nach seinem Wechsel in den ambulanten Bereich konnte er diese tagestrukturierenden Angebote weiter nutzen. 

Daneben ist die Wiedereingliederung in das Arbeitsleben von elementarer Bedeutung: „Wir vermitteln unsere Klienten in ganz normale Betriebe“, informiert Göttler. Dort fangen sie zunächst stundenweise an. „Oft sind diese Menschen auch zu krank für eine Ganztagsbeschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt.“ Zum Spektrum der bewährten Arbeitsfelder gehören Tätigkeiten im Fahrradladen oder Seniorenheim genauso wie im Heimtierbedarf oder Garten- und Landschaftsbau. 

In der Regel vergehen mehrere Jahre, bis die Person so weit gefestigt ist, dass der nächste Schritt ins Auge gefasst werden kann: Der Umzug aus der Wohngruppe in eine separate Wohnung. Auch dort werden die Klienten weiter betreut – vom Team der „MoNa“, der mobilen Nachsorge. „Diese ist Einzelfall abhängig“, erklärt Simone Gabath, stellvertretende Einrichtungsleiterin, und umfasst neben festen Terminen jede Woche auch Begleitung zu Behörden, Arzt u. ä. „Es kommt zu keinem großen Bruch beim Auszug, sie nehmen den Stallgeruch immer mit, egal, wo sie später sind“, umschreibt es Glöckler. Anfangs schauen die „Absolventen“ noch täglich bei ihren früheren Mitbewohnern vorbei. „Dann werden die Abstände größer.“ 

Das „Highlight“ des Projektes ist das Café „Gegenüber“, so genannt, weil es vis á vis der Wohngruppe in der Neunkircher Bachstraße eröffnet wurde – im selben Gebäude, in dem auch der Ambulante Pflegedienst des ASB logiert. Das Café ist Treffpunkt und „Kantine“ mit Inklusionscharakter. „In den Räumlichkeiten treffen sich unsere Klienten untereinander und mit ihren Angehörigen.“ Gern lassen sich hier auch mal Handwerker oder Kunden des im Obergeschoss tätigen Notars das warme Mittagsgericht schmecken. Dank der komfortablen Größe der ehemaligen Wohnung konnte man im Café Gegenüber zudem verschiedenste Freizeit- und Gruppenangebote verorten, genau wie das Arbeitstraining, sprich Bügeln, Backen, Hausmeisterarbeiten usw.

Wobei im Moment Vieles davon brach liegt. Corona wirft gerade auch in sozialpsychiatrischen Zusammenhängen lange Schatten. Mit am schwersten wiegt, Abstand halten zu müssen –eigentlich ein Unding, da völlig kontraproduktiv. „Unser Ziel ist es, Beziehungen zu intensivieren“, wozu unbedingt gehört, sich auch mal anzufassen, in den Arm zu nehmen. „Es blutet einem schon das Herz, wenn man Stopp sagen muss, bleib bitte zurück“, charakterisiert Peter Glöckler die derzeit angespannte Situation. „Dazu kommt die fehlende Mimik durch das Maskentragen, das verunsichert zusätzlich.“ Kein Wunder, dass derzeit viele Ängste hochkommen. „Die Leute verbringen viel mehr Zeit als sonst mit sich allein und der eigenen Erkrankung“, was Therapieerfolge wieder zunichtemachen kann. 

In der Nachbarschaft, um noch einmal auf die eingangs erwähnte Intoleranz verschiedener rechtsorientierter Personengruppen zurückzukommen, ist die Gemeinnützige Heimbetriebsgesellschaft mit ihrem Modellprojekt wohl gelitten. Dabei hatten vorher durchaus „größere Bedenken“ bestanden, kann sich Glöckler noch gut erinnern. Was meisten hilft, ist Offenheit. Und positive Konfrontation. So auch hier im Viertel bei den Anliegern. „Heute lieben sie uns.“